Samstag, 29. September 2012

Liebe Leute,
Es ward vollbracht!!
Gegen Mittag am 26. September dachte ich mir: "Hey, das ist ja eine lustige Schneise in den Baeumen!!" und stolperte voellig unerwartet vor das Grenzmonument. Die Amis sind tatsaechlich krass genug, um eine etwa strassenbreite Schneise entlang der gesamten Grenze zu Kanada in den Wald zu schlagen...
Mit von der Partie waren Quest, Rem, Rubylocks aus Neuseeland und das "Thunderchubs" Trio Gilch, Minus und Kegel. In Manning Park haben wir dann noch die beiden Japaner Masa und Kanji aufgegabelt (mein ganzer Respekt an dieser Stelle an Masa: dieser krasse Typ hat auf dem ganzen weg mehr als 30 Kilo Gepaeck geschleppt und dabei 4 Rucksaecke geschrottet und alle Ultralighter alt aussehen lassen).

Die letzten Tage seit Snoqualmie vergingen wie im Flug. Wir hatten weiterhin Bombenwetter und es wurde sogar wieder warm. So schoen sehen die meisten thru hiker Washington nie; wolkenlos mit schneebedeckten Gipfeln in allen Formen, goldgelben Laerchen und Huckleberrybueschen in allen Toenen von rostrot ueber magentapink bis lila verfaerbt...
Die Strecke von Snoqualmie bis zur Grenze hatte es aber nochmal in sich, viel auf und ab und schlechter, ueberwucherter Trail. Ausserdem mussten wir die Etappe zwischen Skykomish und Stehekin extra schnell laufen, da die Post mit unseren Futterpaketen an dem Wochenende, wo wir ankommen sollten nur eine Stunde lang mittags aufhatte... das fiel uns aber erst auf, nachdem wir entspannt in Skykomish einen halben Tag verdaddelt hatten und dazu noch 2 Stunden brauchten, bis uns endlich eine liebe Seele zurueck zum trail fuhr. Der lezte hitch war doch tatsaechlich der schwerste! Also mussten wir entsprechend an dem Tag noch 10 Meilen laufen und dann je 26, 27, 28, und 9 am Samstag... das war ziemlich brutal, mit besagtem Terrain. Am letzten Tag sind wir tatsaechlich um 4 Uhr morgens aus den Federn, um kurz vor 5 auf dem trail, um es rechtzeitig zum 9 Uhr Bus nach Stehekin zu schaffen.
Aber der Reihe nach: Das tollste auf dem Abschnitt zwischen Snoqualmie und Skykomish war eine magische Baerenbegegnung. Quest und ich zuckelten eines morgens froehlich schnackend so vor uns hin, als es ploetzlich links vom trail gewaltig in den Bueschen krachte. Ich dachte noch: "Ach ja, mal wieder ein Baer" und sperrte die Augen auf, als es rechts von uns in den Baeumen ganz entzueckend bloekte und ich ein Baerenjunges in einer Tanne haengend sah! Wir also: "Scheisse!! Mama links, Baby rechts, schnell den Rueckwaertsgang einlegen!"
Wir haben uns also mit noch 2 anderen hikern die von hinten ankamen hinter einer Kurve versteckt um dem Baby Gelegenheit zu geben, vom Baum runterzukraxeln und zu Mama zurueckzuhuscheln. Ich hatte noch nie ein Baerenkind erlebt und lasst euch sagen: Die quaeken und bloeken und schnaufen ganz wahnsinnig niedlich!! Es war auch noch ziemlich klein und flauschig. Irgendwann haben wir es dann krachen und trampeln hoeren und haben uns wieder um die Kurve getraut... und das krasseste war, dass wir dann links unten die Mama gesehen haben, mit sage und schreibe DREI kleinen Baerchen!! Deshalb hatte sie wohl auch das kleine rechts im Baum nicht so heftig verteidigt, wie wir erwartet hatten. Umwerfend. Die Baerin guckte nur ganz stoisch zu uns hoch, waerend die kleinen die Baeume hoch und runter gesaust sind!
Die meisten Baeren auf dem Trail, die meisten Tiere ueberhaupt, habe ich in Washington gesehen.

In Skykomish gab es die letzten Trail Angels auf dem Weg, Jerry und Andrea Dinsmore. Klasse Leute. Wir kamen abends an und hatten kaum unsere Rucksaecke abgesetzt, als uns ein Hamburger in den Mund gestopft wurde, man eine riesen Umarmung von Andrea bekam und ein Willkommensfoto gemacht wurde. Besonders Jerry gab einen perfekten Bilderbuchamerikaner ab: Mit Bierbaeuchlein, Hosentraegern, Holzfaellerhemd und einer Zigarre im Mundwinkel, im Hintergrund ein klappriger Traktor. Ganz herzliche Leute, da sie selber keine Kinder haben, adoptieren sie seit Jahren thruhiker und auf ihren Autos ist das Nummernschild je "pctmom" und "pctdad". Andrea waescht einem die Waesche, es gibt frische Baumwollklamotten, eine Dusche mit jede Menge Shampoo und sogar Spuelung (ace!!) und Jerry angelt einem das Versorgungspaket aus der Garage. Meins hatte leider ein etwas dubioses Loch, dass sich in meiner einen Kekstuete fortsetzte... nicht so schlimm, zum Ende hin hatte ich fast mein gesamtes Essen ueber und dann war es um die Kekse nicht so schade, die haetten eh nach Karton geschmeckt.
In Skykomish haben wir allerdings auch rekordmaessig getafelt: Vor 3 Uhr hatte ich einmal Fruehstueck (Eier, French Toast und Speck) mit jede Menge Kaffee, ein gegrilltes Sandwich und einen RIESIGEN Burger mit allem moeglichen drauf. War einer der Besten auf dem Trail.

Nach dem spektakulaeren Dauerlauf nach Stehekin haben wir uns dort einen "nearo" gegoennt. Stehekin ist ein sehr besonderes Oertchen: es ist von der Aussenwelt nicht mit dem Auto erreichbar, nur ueber Trail zu Fuss oder mit dem Schiff ueber den Lake Chelan. Innerhalb des langgestreckten Doerfchens gibt es aber Autos und eben besagten Bus, der einen vom Trail zum Anleger faehrt und zwischendrin an der sagenumwobenen Baeckerei haelt. Es war wahnsinnig witzig, wie etwa 12 verlotterte hiker johlend aus dem Bus in die nette Baeckerei gestuermt sind und dort mit leuchtenden Augen und wild fuchtelnd die Baeckerinnen geknechtet haben... "One of these, please! and a cinnamon roll! No wait! Make that three! What's this? Can I get a coffee??!" und so weiter.
Ich muss sagen, auch mit deutschem Baeckereistandard im Hinterkopf war die Baeckerei ziemlich gut, besonders die Cinnamon rolls. Eine wog etwa ein halbes Kilo und ich hab auf den letzten Abschnitt fuer jedes Fruehstueck eine mitgeschleppt. Wahrscheinlich hatten die Dinger auch gute 1000 Kalorien pro Stueck, das haut eine ordentliche Delle ins Blech.
Zufrieden mampfend wurden wir dann zurueck in den Bus verfrachtet und dann zum Biobauern gekarrt wo es frisches Obst und Ziegenkaese und Ziegenjoghurt gab. Ich hab mir einen Liter Joghurt gegoennt, ihr glaubt nicht wie geil der geschmeckt hat!! Vollfett und mit ein bisschen Ziegenmilchgeschmack, leeeecker! Der Liter war noch am selben Tag weg. Da haben selbst die Hikerkerle gestaunt.
Am naechsten Morgen hat der Bus dieselbe Tour nochmal gefahren, wieder dasselbe Spielchen in der Baeckerei. Ich glaube, die Maedels dort sehen den Bus kommen und muessen dann schnell ins Sauerstoffzelt, damit sie das ueberleben... die haben da noch nichtmal Preisschilder an den Sachen, weil das auch voellig egal ist, so ein Laden ist fuer uns wie Geburtstag und Weihnachten zusammen. Man muss beachten, dass wir uns die Wochen davor immer nur an Tankstellen und Frittenbuden entlangehangelt hatten.

Ausserdem kann ich nun sagen, dass ich mal neben einem Gletscher geschlafen habe (es war dunkel und es gab dort ein flaches Plaetzchen, zu faul zum Zelt aufschlagen. Ziemlich cool. Und ich habe ein paar Pikas gesehen. Das sind wahnsinnig niedliche Tierchen, sie sehen aus wie eine Kreuzung zwischen einem Koala und einer Maus. Etwa so gross wie ein Meerschweinchen, kein Schwanz, hellgrau und mit grossen runden Ohren sitzen sie gerne auf Steinfeldern und piepsen vor sich hin. Suuuuueeeess!


Nachdem ich also voellig emotional unvorbereitet in Kanada aufgeschlagen bin, pendeln die Gefuehle zwischen Jubel und Traurigsein. So ganz habe ich es immer noch nicht begriffen, dass das Nomadendasein nun zuende ist und ich mich wieder in die "echte Welt" integrieren soll. Ein halbes Jahr reicht voellig, um das Dasein und den Alltag umzukrempeln, selbst meine Traeume spielten sich zum Schluss auf dem Trail ab.
Ein paar Tage bleiben mir aber noch, in denen ich zwischen den Welten haengen kann und so tun kann, als ob ich nur ein paar zeros mache, bevor ich wieder mein Rucksaeckchen packe und meine aechzenden Knochen auf den Trail schwinge.
Aber selbst wenn der Trail endlos waere, merkt man, dass der Herbst und der Schnee vor der Tuer stehen. Und mein Koerper ist auch ziemlich am Ende, alle Sehnen und Muskeln in den Beinen fuehlen sich steif und kurz an und die Powertage vor Stehekin haben echt geschlaucht auf dass ich wieder Fussschmerzen wie am Anfang hatte. Man sollte meinen, dass die irgendwann aufhoeren, aber nein, man gewoehnt sich einfach irgendwann daran.

Abschliessend hier noch ein paar lustige Fakten:
Ich habe 4 paar Schuhe zerlaufen, mindestens 12 paar Socken umgebracht, 3 paar Einlagen vernichtet, 3 T-Shirts vollgekoffert und meine Shorts habe ich nur noch mit schierer Willenskraft an die Grenze gebracht. Die haetten in der Sierra schon weg gekonnt, aber ich wollte wenigstens einen konstanten Wegbegleiter haben.

Tiere, die ich gesehen habe:
- mind. 16 Klapperschlangen, hab irgendwann aufgehoert zu zaehlen
- viele horny toads, sehen aus wie kleine Schlangen
- Feuerameisen
- 1 Tarantel
- 3 Geier
- einen Weisskopfadler, magischer Moment: ich schwimme in einem klaren Bergsee in der Sierra, blicke unvermittelt auf und sehe ihn lautlos vorbeizischen
- 1 Puma
- 1 Bobcat
- 2 Skorpione
- jede Menge mule deer (Rehe)
- eine Herde Elk
- 11 Baeren
- jede Menge Murmeltiere (marmots)
- 1 pine marten (so eine Art Wiesel, die sind ziemlich selten)
- hunderte Chipmunks und sonstige Hoernchen
- Pikas
- Grouse und Fasane, die sind recht aehnlich
- 2 wilde Truthaehne

Mir faellt in den naechsten Tagen bestimmt noch mehr ein. Dann schreibe ich weiter:)
Bis dahin,
Rapunzel, die sich den Namen beim vorstellen jetzt wieder abgewoehnen muss...

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